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Schülergespräch mit Zeitzeuge Carl-Heinz Kipper


Schülerinnen und Schüler der Religionskurse der Jahrgangsstufe 11 und 12 der Europaschule Köln besuchten auf Einladung von Elisabeth Kahl am vergangenen Donnerstag das Kölner Erzähl- und Begegnungscafé für NS-Verfolgte.

„Onkel Willi, warum weinst du?“ Diese Frage stellte Carl-Heinz Kipper im Alter von sechs Jahren seinem Onkel nach der Beerdigung seines Vaters 1932, nichts ahnend, dass er in der Familie, in die er hineingeboren wurde und sich sicher und geborgen fühlte, noch größere Verluste und Entbehrungen erdulden und erleiden sollte.

Carl-Heinz Kipper fesselte die Schülerinnen und Schüler mit seiner sehr lebendigen und bodenständigen Präsenz und seiner klaren Diktion.

Als Kind eines katholischen Vaters und einer jüdischen Mutter wurde der mittlerweile 85 jährige, freundliche und aufgeschlossene Charly, wie ihn zum Teil seine Freunde nannten, in Iserlohn (Sauerland) geboren. Seine Kindheit unterschied sich kaum von der anderer Jungen und Mädchen seines Alters, was sich jedoch mit der Machtergreifung Hitlers drastisch ändern sollte. Als man ihn eines Tages beschimpft, er sei ein Jude, da sei er zu seiner Mutter gegangen und habe sie gefragt, was das Wort bedeute.

Der Iserlohner, der auch nach all den Gräueltaten die Liebe zu seiner Heimatstadt nicht verloren hat, macht den Schülerinnen und Schülern der Europaschule an sehr vielen Beispielen anschaulich, wie er drangsaliert wurde: Obwohl er die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium bestanden hatte und auch dort erschienen war, verwies ihn ein Oberstudiendirektor ohne großes Aufheben von der Schule. Fortan musste er die Volksschule besuchen. Im Schwimmunterricht versuchten ihn die Klassenkameraden immer wieder unter Wasser zu ziehen und ihn dort festzuhalten. Erst durch das mutige Einschreiten eines Lehrers habe er nicht mehr beim Schwimmen mitmachen müssen. Der Mann sei später verschwunden und er habe bis heute keine Erkenntnis, was aus ihm wurde.

Die Hänseleien, die er als Jude hat ertragen müssen, sind Carl-Heinz Kipper bis heute im Gedächtnis. Obwohl er Klassenbester war, wurden seine Noten nicht anerkannt. Steine legte man ihm später bei der Gesellenprüfung in den Weg. Kipper sprach zudem über das Tragen des Judensterns und schilderte seine Erlebnisse aus der Reichspogromnacht. Der Volksmund habe mit Blick auf die zerschlagenen Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte daraus die „Reichskristallnacht” gemacht. Ein Wortungetüm, wie Kipper meint.

Seine Mutter sei eines Morgens von der Gestapo abgeholt worden. Dass die Menschen später sagten, sie hätten von dem, was mit den Juden geschehen sei, nichts gewusst, ist für Kipper ein Märchen. „Die standen doch alle hinter den Gardinen und haben zugesehen.” Er und seine Schwester standen von dem Tag an ohne Eltern da. Sogar die Wohnung haben sie räumen müssen. Seine Schwester starb bald darauf, da sie das Leid, was ihnen angetan wurde und v.a. das Leben ohne die Mutter seelisch und auch körperlich nicht verkraften konnte. Eine ältere Dame habe sich trotz Gespött und Hohn der Leute des „kleinen“ Carl-Heinz Kippers angenommen. Ohne die Dame, die für ihn zur Tante Anna wurde, hätte er wohl auch nicht überlebt. Er wisse bis heute nicht, wie er es ihr eigentlich hätte danken sollen.

Dass seine Mutter im KZ Theresienstadt überlebte, sei einem widersinnig erscheinenden Umstand zu verdanken: Die Mutter habe versucht, einen Brief an ihn, in dem sie die wahren Umstände in dem KZ schilderte, aus dem Lager zu schmuggeln. Der Brief sei gefunden worden, sie kam dafür ins KZ-Gefängnis und wurde wohl von den NS-Schergen dort vergessen. Als die Russen kamen habe man sie völlig entkräftet und verlassen in der Zelle vorgefunden. Kipper selbst wurde als Halbjude einige Wochen vor Kriegsende zum Arbeitsdienst in einem Salzbergwerk abgeholt. Ein Drittel seiner Kameraden dort starb an Entkräftung und Krankheit.

Von den 64 Familienmitgliedern mütterlicherseits haben nur sechs die Shoa überlebt. Die Nazis, so betonte Kipper, haben aber nicht nur die Juden, sondern auch Sinti und Roma sowie geistig und körperlich Behinderte verfolgt. Andersdenkende seien ebenso Opfer dieses Regimes geworden.

Für die Anwesenden war es sehr interessant, Herrn Kipper zuzuhören, später ihm noch Fragen stellen zu können und auch ins Gespräch mit anderen anwesenden Zeitzeugen zu treten. Carl-Heinz Kipper beendete seinen Vortrag mit der Bitte, dass wir alle dafür Sorge tragen sollten, dass so etwas Schreckliches nie wieder geschehen dürfe.

U. Gausling